Ich möchte Ihnen hier kurz ein grundlegendes Modell zur Persönlichkeitsentwicklung bzw. Entfaltung Ihrer Person darstellen. Am Ende dieser Seite finden Sie einige Fragen und Anregungen zum Thema.

Menschliche Entwicklungs- und Wachstumsprozesse beinhalten aus psychologoscher Sicht die Fähigkeit, in nahen, wichtigen Beziehungen Nähe und Distanz ausbalancieren zu können. Dies wird manchmal (nach Murray Bowen) als „Differenzierung“ bezeichnet.

Differenzierung

  • ist die erlernbare Fertigkeit, mit nahen Personen Nähe und Distanz angemessen auszubalancieren. Differenzierung ist weder ausgeprägte Abhängigkeit noch demonstrative Unabhängigkeit. Es geht eher um eine Unabhängigkeit in wechselseitigen Abhängigkeiten. Hier kann man die eigene Einzigartigkeit ebenso leben wie die gefühlsintensive Beziehung mit anderen.
  • ist eine Prozesskompetenz und regulatorische Beziehungsgestaltungsfähigkeit.
  • ermöglicht und zielt auf die Nutzbarmachung von Unterschieden für beidseitige persönliche Entwicklungsprozesse.

Das Schaubild stammt aus: Schnarch, David: Die Psychologie sexueller Leidenschaft. Stuttgart 1997. S.68

Etwas in uns strebt nach dieser Differenzierung. Dies kann zugleich aber auch als herausfordernd erlebt werden. Das gilt vor allem dann, wenn wir in unseren Kindertagen aufgrund der äußeren Umstände nur wenig Selbstständigkeit entwickeln durften/konnten (vgl. „Kindheit & Persönlichkeit“ sowie „Verwundbarkeitszirkel“). Als Erwachsene(r) ist man heute frei, sich neu zu entdecken und erleben.

Als „differenzierte“ Person vermag man selbst zu entscheiden, was für einen Gültigkeit besitzt („Selbstgültigkeit“). Damit kann man „selbstgültige Beziehungen“ (David Schnarch) gestalten.

selbstgültige Beziehung

  • Man macht die Andersartigkeit eigenen Denkens und Handelns vor dem anderen öffentlich (ohne Bevormundung oder Gleichgültigkeit).
  • Man gesteht dem anderen das gleiche zu, respektiert den anderen unerschrocken als Person.
  • Das erfordert Verhandlungen und Dialog,
  • bringt Wachstum für Individuen und ihre Beziehung.

Hiervon lässt sich unterscheiden: die

fremdgültige Beziehung

  • Man behält die Andersartigkeit eigenen Denkens (und ggf. Handelns) für sich oder
  • denkt (im Extremfall) manches nicht mehr, das vom anderen nicht gerne gesehen wird.
  • Das erfordert Unterordnung und Selbsteinschränkung. Auch das sind Fähigkeiten.

Der Unterschied lässt sich kurz tabellarisch darstellen:

BeziehungFremdgültigSelbstgültig
Quelle des Selbstwerts ist/sinddie äußere Reaktion des Partnersdie eigenen Werte, Selbstannahme
Konflikt wird erlebt alsBedrohung der Beziehung und IdentitätMöglichkeit zur Klärung und Weiterentwicklung
Die Selbstständigkeit istoft eingeschränktgesund integriert
Das emotionale Erleben schwankt mit dem Verhalten des anderenist relativ konstant
Die eigene Motivation liegt imBedürfnis, zu gefallen bzw. Erwartungen zu erfüllenBedürfnis, authentisch zu leben und zu lieben

Der Weg in die Selbstgültigkeit der einzelnen Beziehungspartner ist auch ein Pfad in die gemeinsame Selbstgültigkeit des Paares gegenüber anderen.

Psychologisch betrachtet, können Einzelpersonen und Paare sich entscheiden, wie sehr selbst- oder fremdvalidiert sie leben wollen. Auf beiden Wegen kann psychotherapeutische Unterstützung hilfreich sein.

Wenn Sie wollen, schauen Sie mal ganz unverbindlich:

  • Was spricht Sie bei diesen Ausführungen an?
  • Wollen Sie gemeinsam eher eine fremdgültige oder eher eine selbstgültige Beziehung leben? Beides ist legitim. Was brauchen Sie hierfür?
  • Gibt es bei Ihnen vielleicht sowohl einen Wunsch nach Weiterentwicklung als zugleich auch Respekt davor? Was wäre hier hilfreich für Sie?
  • Achten Sie darauf, Selbstständigkeit und hohen Abgrenzungsbedarf nicht zu verwechseln?